Aussortierung

Die Mär von der Aussortierung

Gastkommentar von MARIUS OSTERFELD

In den Medien wie auch in der Politik wird heiss diskutiert, ob über 50-Jährige von der Wirtschaft zugunsten von «billigeren» Zuwanderern aussortiert werden. Bevor man nun hektischen regulatorischen Aktionismus entfaltet, hilft ein Blick auf die Fakten, um einen kühlen Kopf zu bewahren. Eingriffe seitens der Politik könnten sogar kontraproduktiv sein.

Keiner der weltweit führenden Industrienationen gelingt es besser als der Schweiz, das Arbeitskräftepotenzial der über 50-Jährigen zu heben. Im Jahr 2015 gingen hierzulande über 79 Prozent der Bevölkerung zwischen 50 und 65 Jahren einer Arbeit nach. Bei Einführung der Personenfreizügigkeit im Jahr 2004 waren es erst 72 Prozent. Bereits damals war dies ein Spitzenwert und reichte unter den OECD-Ländern für Platz 4. Ein Vorteil: 2015 waren gemäss Eurostat über 84,5 Prozent der Schweizer in diesem Alterssegment gut qualifiziert.

Das Schweizer Erfolgsrezept bei den über 50-Jährigen ruht auf zwei Säulen: dem flexiblen Arbeitsmarkt und dem robusten Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahrzehnt. Ökonomisch betrachtet, hat die Schweiz zwischen 2004 und 2015 viel richtig gemacht. Einerseits wurde der liberale Arbeitsmarkt nicht durch schwerwiegende regulatorische Eingriffe ausgehöhlt. Andererseits sicherten die bilateralen Verträge der Wirtschaft Zugang zum europäischen Binnenmarkt und zu dem riesigen Arbeitskräftepool der EU.

Innovative Schweizer Unternehmen nutzten ihre Chancen und setzten einen exportgetriebenen Wachstumsmotor in Gang. Über eine steigende Binnennachfrage heizten EU-Zuzüger diesen

Das Schweizer Erfolgsrezept bei den

über 50-Jährigen ruht auf zwei Säulen:

dem flexiblen Arbeitsmarkt und dem

robusten Wirtschaftswachstum.

Motor weiter an. Die Folge: viele, sichere Arbeitsplätze und eine nachhaltige Integration der über 50-Jährigen in den Arbeitsmarkt. Mit der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative ist dieser

Wachstumsmotor in Gefahr. Das grösste Risiko besteht in einer allfälligen Kündigung der bilateralen Verträge. Aber auch der Aktionismus rund um die Ausschöpfung des Inländerpotenzials birgt Gefahren. Derzeit rufen beispielsweise die Gewerkschaften laut nach einer Einschränkung der Temporärarbeit oder einem höheren Kündigungsschutz ab 50 Jahren. Für ältere Arbeitnehmende können solche Massnahmen schnell zur Falle werden.

Statistiken von Swissstaffing, dem Branchenverband der Personaldienstleister, zeigen: Suchte ein Temporärarbeitender über 50 im Jahr 2014 eine Feststelle, hat er diese 12 Monate nach einem Einsatz mit einer Wahrscheinlichkeit von 41 Prozent gefunden – gut 12 Prozent weniger als bei Jüngeren. Die Zahlen zeigen: Ältere Arbeitnehmende haben es auf dem Arbeitsmarkt schwerer, eine neue Festanstellung zu finden. Aber dank flexiblen Arbeitsformen wie der Temporärarbeit und befristeten Anstellungen standen fast 93 Prozent der über 50-Jährigen ein Jahr nach einem Einsatz im Erwerbsleben. Flexibilität ist ein grosses Plus, um im Erwerbsleben integriert zu bleiben und eine neue Feststelle zu finden. Im Übrigen: Die Feststellen-Chancen der über 50-Jährigen starten zwar auf niedrigerem Niveau. Monat für Monat steigen sie jedoch für junge wie ältere Temporärarbeitende im gleichen Takt. Die Falle flexible Anstellung ist somit ein gewerkschaftlicher Mythos. Die gegenwärtige Diskussion um die über 50-Jährigen wird ihrer Leistung nicht gerecht: Ältere Arbeitnehmende bilden in der Schweiz einen riesigen wie wertvollen Talentpool, den die Wirtschaft weitgehend ausschöpft und keineswegs durch vermeintlich günstige Zuwanderer ersetzt. Starke Eingriffe in unseren liberalen, überaus erfolgreichen Arbeitsmarkt werden Langzeitstellensuchenden nicht helfen. Im Gegenteil dürfte durch starke Regulierung die Arbeitslosigkeit ansteigen. Was wir brauchen, sind daher fokussierte Massnahmen mit Augenmass, die den Betroffenen wirklich helfen und nicht unser Erfolgsmodell als Ganzes gefährden. Flexible Arbeitsformen bauen bereits heute individuelle Beschäftigungsbrücken und ermöglichen einen gleitenden Übergang in den Ruhestand – bis 65 und darüber hinaus. Dieser Weg muss auch in Zukunft gestärkt werden.

Marius Osterfeld ist Ökonom von Swissstaffing, dem Verband der

Personaldienstleister der Schweiz.

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